Beim Aufräumen ist mir eine Tüte entgegengefallen, deren Inhalt ich schon seit zig Jahren vergessen hatte.
1993: Ausflug in die Computerspielebranche.
Ein Super Nintendo, eine Super Wild Card zum „Sicherheitskopieren“ von Spielen und auf rot kopierte Entwicklungsunterlagen für das SNES. Aber von Anfang an.
Wie ich bereits an anderer Stelle hier geschrieben habe, versuchte ich im Jahr 1993 zusammen mit Freunden, in der Computerspielbranche Fuß zu fassen. Damals war es noch möglich, mit einem kleinen Team und innerhalb von 12 Monaten Entwicklungszeit Spiele zu produzieren. Während wir die Amiga-Version von Crosscheck programmierten, war uns bereits klar, dass man mit Amiga-Spielen kein Geschäft mehr machen konnte. Die Raubkopierer crackten jedes Spiel binnen Tagen oder sogar Stunden, und die Spieleszene wanderte schon lange ab auf moderne Konsolen wie das Super Nintendo oder das Sega Mega Drive. Deren Module waren für „normale“ Spieler nicht zu kopieren, also lagen hier wesentlich höhere Profite in der Luft.
Wie entwickelt man 1993 auf dem Super Nintendo?
Diese Systeme waren für uns komplett verschlossen!
Jemand aus unserer Runde hatte dann einen Geistesblitz! In halblegalen Kanälen wurde damals eher zögerlich ein Gerät angeboten, mit dem man „Backups“ von SNES Spielmodulen auf Diskette erstellen konnte. Die „Super Wild Card“ wurde allerdings, wie nicht weiter überraschen sollte, nicht für „Backups“ verwendet, sondern als Raubkopier-Station.
So wurde es beworben:
Warning! This is an extremely powerful product! It is intended for private use only! This product is neither licensed nor approved by Nintendo Corp.
Denn die Übertragung funktionierte in beide Richtungen: Vom Spielmodul auf Diskette, und von Diskette zurück in das SNES. Und die Spiele, die nicht auf Diskette passten, die konnte man mit einem Kabel über die COM Schnittstelle direkt auf den PC übertragen (und zurück). Das wäre also ein Weg gewesen, um unser Spiel zumindest zu entwickeln und zu testen. Wie wir es dann später auf Modul bringen würden, damit haben wir uns allerdings nicht befasst 🙂
Die Super Wild Card.
OK, Schritt 1 wäre dann somit schon geklärt. Ich habe noch ein Fax gefunden, datiert vom Mai 1993, in dem die Super Wild Card für einen UVP von 499 US-Dollar angeboten wurde. Das wären damals umgerechnet ca. 825 DM gewesen. In heutiger [2014] Kaufkraft geschätzt ca. 600 Euro… also nicht billig für ein paar Studenten!
Dann fehlten uns „nur noch“ die Entwicklungsunterlagen für das SNES.
Wenn ich heute daran zurückdenke, wie naiv wir waren… Gerade Nintendo hatte – zumindest damals – äußerst hohe Anforderungen an die Qualität der auf ihren Systemen veröffentlichten Spielen, und die Publisher waren handverlesen. Die Vorstellung, dass da ein paar Studenten an die Tür klopfen und einfach so Zugang zu Entwicklungssystemen bekommen, das ist heute so unglaublich irreal. Aber damals hat uns das nicht gestört. Wir waren so davon überzeugt, dass es schon irgendwie klappen würde. Aber gut – von Nintendo würden wir nichts bekommen, das war uns auch damals schon klar.
Entwicklungsunterlagen für das Super Nintendo.
Wie genau wir die Unterlagen dann doch bekommen haben, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Irgendwelche dunklen Kanäle in der Schweiz waren daran beteiligt, daran kann ich mich noch erinnern. Und teuer war es! Nochmal 500 DM für ein ca. 10cm dickes Paket aus DIN-A-4 Seiten, die auf rotem Papier kopiert waren. Das rote Papier war damals ein sehr wirkungsvoller Kopierschutz – wenn man es weiter kopieren wollte, kamen nur schwarze Seiten dabei heraus. Wahrscheinlich hatte auch unsere Quelle die Unterlagen bereits kopiert erhalten, denn die Qualität war schlecht, sehr schlecht. Als ich diese Blätter jetzt wieder hervorgeholt habe, war ich zusätzlich über die inhaltliche Qualität schockiert. Mittlerweile kann ich mir gar nicht vorstellen, dass Nintendo wirklich solch dürftige, höchsttechnische Unterlagen an ihre Entwickler gegeben hatte, denn sie bestanden im Grunde nur aus den reinen Datenblättern. Beispiele für die Anwendung oder gar eine Art Tutorial („Your first SNES Game“) waren nicht enthalten. Wahrscheinlich sind wir damals einfach abgerippt worden.
Spieleentwicklung mit Hindernissen.
Aber unser dedizierter SNES Experte hat es doch recht schnell hinbekommen: Das Eishockey-Feld scrollte butterweich, und auch im „Mode 7“ 3D-Modus zoomte es drehend auf uns zu. Vielleicht existiert der Code von damals noch? Dann brauche ich nur noch ein COM-Kabel.
Leider endete auch dieser Ausflug in die Konsolenwelt, als unser Amiga-Projekt nicht so endete wie erwartet. Da war es aus mit Motivation und der Traumwelt Game-Publishing. War vielleicht aber auch besser so. Alle damals beteiligten Personen sind auch heute noch erfolgreich in der IT-Szene unterwegs, und wer weiß, wie es uns in der Spielebranche ergangen wäre…
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