Guilty Pleasures: Dancefloor One-Hit-Wonders aus den 1990ern.
Die 1990er Jahre stehen heute rückblickend für den Durchbruch der elektronischen Tanzmusik in den Mainstream. Gerade in der Zeit, als dies geschah, tanzten wir aber auch zu Liedern, die ich heute nur noch als „Guilty Pleasure“ bezeichnen kann: Es ist heute ein wenig peinlich, aber der Körper würde am liebsten lostanzen.
Elektronische Tanzmusik um 1995.
Techno war schon lange aus dem Underground hervorgetreten und konnte immer günstiger produziert werden. Gleichzeitig stieg die Zahl der Menschen, die der Musik etwas abgewinnen konnten, aber gleichzeitig keine Hardcore-Techno Fans waren. Für diese Gruppe, denen Depeche Mode alleine zu wenig war, entstanden in den 1990er Jahren unglaublich viele Retortenbands, die oftmals nur einen einzigen Hit hatten. One-Hit-Wonders: Im Dancefloor-Bereich der 1990er Jahre ganz normal.
Ich gebe es zu: Auch ich habe Guilty Pleasures im Plattenschrank!
Selbst ich bin davon nicht verschont, und in meiner Sammlung befinden sich auch so manche Tracks, für deren Besitz ich mich schon, je nachdem, fast schäme. Warum komme ich jetzt gerade darauf? Als ich kürzlich im Auto unterwegs war, schaltete ich zufällig in einen lokalen Radiosender ein – ich glaube, es war das Kultradio. Und dort liefen gerade nonstop 1990er Dancecharts der „Guilty Pleasure“ Kategorie… Als ich einschaltete, starteten gerade die Soundlovers mit ihrem „Run a way“ – und innerhalb eines Wimpernschlages war ich wieder zurück im Jahr 1996! Und diese Musik konnte süchtig machen.
Persönliche Guility Pleasure Charts.
Wieder zu Hause, habe ich direkt angefangen, an diesem Beitrag zu schreiben, denn es ist Zeit für ein Coming Out:
Ja, auch ich habe damals hin und wieder Dancefloor gehört! 🙂
Und weil es wirklich genügend Songs gibt, die heute in Vergessenheit geraten sind, zu denen wir damals aber gerne getanzt haben, habe ich mich dazu entschlossen, hier eine kleine persönliche „Best of Guilty Pleasure“ Chartshow zu schreiben. Nicht alle sind klassische „One-Hit-Wonders“, aber viele davon. Ich habe die Liste nach Jahren sortiert, und falls ich einen ganz besonderen Song vergessen haben sollte, dann gebt mir einen Hinweis ;). Viel Spaß!
1991: Nomad – „Devotion“.
Ach herrje, das Jahrzehnt startete mit einem Hippie-LSD-House-Trip und einer unvergesslichen Hookline: „I wanna give you Devotion!“ Damit starteten Nomad ihre kurze Karriere. Mir persönlich gefiel der zweite Hit „Just a Groove“ allerdings besser.
1991: Army of Lovers – Crucified.
Ein kurzer, aber heftiger Hype um die Army of Lovers aus Schweden. Auch hier war der große Erfolg nach dem zweiten Hit „Obsession“ zu Ende, aber sie existieren bis heute – zumindest auf dem Papier. Ach ja, und die Sängerin soll mal was mit dem Senior-König gehabt haben…
1991: The KLF – „3 a.m. eternal“.
„This is radio Freedom.“ Brachial! Ein Sound, wie man ihn vorher nicht im Radio gehört hat. The KLF brachten den Stadium-House zu MTV, und wir liebten sie. Drolligerweise lief dieser Hit, und auch der noch größere Folgehit „Last Train to Trancentral“ zumindest bei uns eigentlich nie in der Disco.
1991: Rozalla – „Everybody’s free“.
Auch großes Kino! Rozalla mit ihrem – ja was war es denn? Für High Energy war es eigentlich zu spät, aber House war es auch nicht… Auf jeden Fall war ihr für ein paar Wochen Ende 1991 ein riesiger Hit vergönnt.
1992: Opus III – „It’s a fine day“.
Ähnlich wie bei Rozalla ein paar Wochen zuvor, war auch dieser Hit aufgrund seines Sounds sehr markant: Sphärisch, tanzbar, neu. Opus III blieb auch aufgrund des Videos in den Köpfen hängen, vor Allem wegen der „Frisur“ der Sängerin. Sie hatte nur einen Hit, macht aber bis heute Musik.
1992: Leila K. – „Open Sesame“.
Eine tragische Figur, Leila K.: Einerseits war die Schwedin für ein paar Monate der heißeste Dancefloor-Export, und alle tanzten zu diesem Hit. Eigentlich war sie schon seit Got to Get, ihrem Hit von 1989, angesagt. Doch nach „Open Sesame“ ging es bergab, bis hin zur Obdachlosigkeit. Wie in diesem Video von 2015 zu sehen ist, scheint sie sich wieder gefangen zu haben – zum Glück!
1993: Usura – „Open your mind“.
etzt kommen wir so langsam in die Zeit, in der Techno & House den Weg in den Mainstream schafften. Der titelgebende Sample aus Total Recall, ansonsten ein recht schamloser Ripp-Off von Simple Minds‘ „New Gold Dream„, ein psychodelisches Video mit damals neuen Morphing-Effekten – fertig war der One-Hit-Wonder Hit.
1993: Nightcrawlers – „Push the feeling on“.
Die meisten kennen den Hit der Nightcawlers aus dem Jahr 1995, aber tatsächlich veröffentlichten sie das Original schon zwei Jahre früher. Der Refrain („Push it, let’s push it – push the feeling on!“) ist immer noch nett zu hören, und weckt schöne Erinnerungen an die Zeit um 1994.
1993: 2 Unlimited – „No Limit“.
2 Unlimited gehören hier nur teilweise rein, denn diese Band hatte wirklich über gute 5 Jahre jede Menge Hits und verkauften 20 Millionen Platten… und Boy, war die Sängerin heiß! 1993 war ihre Hochzeit, und „No Limit“ ihr größter Hit. Begonnen hatte alles mit „Get ready for this!„, aber auch „Twilight Zone„, „The Magic Friend“ und „Tribal Dance“ wurden damals gerne gespielt.
1993: Jaydee – „Plastic Dreams“.
Jaydee – Deejay – DJ – verstanden? Damals recht cool, aber es ging mir auch schnell auf die Nerven. Besonders die Maxi-Version mit der nicht enden wollenden Hammond-Orgel-Improvisation. Ein einziger Hit. Aber der war groß genug, um bis heute davon leben zu können.
1994: Cappella – „U got to let the music“.
Wie so viele Happy Dancefloor Bands, stammte auch Cappella aus Italien. Eigentlich wurde dieser Hit schon 1993 veröffentlicht, aber erst im Jahr darauf wurde es bei uns zum Sommerhit. Ist ganz gut gealtert, wie ich finde. Auch das Video kann man sich noch ansehen. Ein paar Anleihen von Alphavilles „Sounds like a Melody“ am Anfang, aber das machten damals alle. Besser gefällt mir allerdings noch ihr erster Hit „U got 2 know“ mit Samples u.a. von Siouxsie and the Banshees, zu dem es aber wohl noch kein Video gab.
1994: Mo-Do – „Eins, Zwei, Polizei“.
Ein weiterer Vertreter aus Italien. Niemand würde offen zugeben, „Mo-Do“ zu kennen, geschweige denn zu ihnen getanzt zu haben – aber insgeheim ist dieser sinnfreie Kinderreim wohl auf vielen Mixtapes gelandet.
1994: Magic Affair – „Omen III“.
Magic Affair, aus Mysterious Art hervorgegangen, ist nur für ein Lied bekannt: „Das Omen (Teil 3).“ Der erste Teil war für 1989 super-cool, auch die Instrumentalversion kann man sich heute noch anhören.
1994: Kristine W. – „Feel what you want“.
Eigentlich kein „Guilty Pleasure“ – „Feel what you want“ von Kristine W. hat gigantischen Stil, auch heute noch!
1995: Dune – „Hardcore Vibes“.
Happy Hardcore! Um 1995 herum war das ein oft gehörter Sound auf MTV und VIVA. Und das Video von Dune war auch sehr „happy“. Zum Glück ging dieser Trend bald zu Ende. (Dafür begann das Jahrzehnt von Scooter…)
1995: La Bouche – „Be my Lover“.
Ein Muster-Vertreter des Eurodance: La Bouche hatte neben „Be my Lover“ einen weiteren gigantischen Hit: „Sweet Dreams“ (Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Lied der Eurythmics.) Die Sängerin Melanie Thornton startete eine Solokarriere – und starb leider 2001 bei einem Flugzeugabsturz.
1996: Soundlovers – „Run a way“.
Und das ist das Lied, das mir die Idee zu diesem Artikel gab – Sommer 1996, von den Soundlovers. Ich muss sagen, die Orgelsequenzen finde ich immer noch cool. Aber der Blick der Sängerin macht mir Angst. Und Alex Christensen A.k.a. U96 hat 10 Jahre später eine „Hommage“ herausgebracht: „Du hast den schönsten Arsch der Welt.„
1996: Gala – „Freed from Desire“.
Ein weiterer Eurodance-Hit. Gala aus Italien (wieder einmal Italien).
1997: Olive – „You’re not alone“.
Vielleicht nicht unbedingt das tanzbarste Lied, aber damals sehr „spacig“, was Olive da ablieferte.
1997: Bellini – „Samba de Janeiro“.
Ist das jetzt auch schon wieder fast 20 Jahre her??? Fast so nervig wie Macarena, aber etwas schneller und beschwingter, was Bellini da zeigten. Kein Wunder, dass das so gut ins Blut ging – immerhin war mit Ramon Zenker eine Hälfte von Hardfloor beteiligt. Und die geniale Hook stammte aus einem bereits 1977 veröffentlichten Lied aus Südamerika. Und huch, einen eigenen Tanz gab es auch?
1998: Loona – „Bailando“.
Gegen Ender der 1990er Jahre hatte der Dancefloor seine Nische und seine Routine gefunden, wie man wohl am besten an diesem Beispiel von Loona sehen und hören kann.
1998: Mousse T. – „Horny“.
Oh, ich kann mich noch gut an einen heißen Sommer 1998 erinnern, als für ein paar Monate ein alter, abgetakelter Anbahnschuppen (noch mit Telefonen auf den Tischen!!!) in der Saarbrücker Fußgängerzone mal der heißeste Club der Gegend war – und dieses Lied von Mousse T. die Tanzfläche beherrschte…
1999: Masterboy – „Porque te vas“.
Masterboy waren irgendwie seit 1990 immer wieder mal in den Dance-Charts, aber mit diesem Cover von Jeanette aus den 1970er Jahren hatten sie 1999 einen Dance-Hit. (Jeanette war selbst ein One-Hit Wonder – aber kaum ein Super-8 Urlaubsfilm aus den 1970er Jahren, wo nicht dieses Lied zu hören war.) Ich war danach in Japan, daher verlor ich die europäische Dance-Szene aus den Augen.
2000: French Affair – „My heart goes boom“.
Und noch etwas ganz Schlimmes zum Schluss: French Affair, eine Autoscooter-Band par excellence! Dieses Lied, und „Do what you like“ waren ihre Hits – weniger leicht erotisierte Dance-Fantasien… Tja, und ab ungefähr dieser Zeit gab es für mich eigentlich wenige prägnante Hits, die man eher verschämt und heimlich hörte…
Fazit: Geile Zeit!
Das Schreiben dieses Artikels hat mir richtig Spaß gemacht. Teilweise wurden die Lautsprecher voll aufgedreht, und im Geiste war ich wieder Anfang 20! Um den Artikel aber noch zu einem guten Abschluss zu bringen… Als ich im Sommer 2000 wieder zurück nach Deutschland kam, lief dieses Lied überall in den Clubs, und die gute Laune von damals habe ich auch heute noch, wenn ich es höre – zusammen mit den Erinnerungen aus dieser Zeit: Salome de Bahía – „Outro Lugar“.
… und das wiederum war ein (gutes) Cover von Stevie Wonders „Another Star“…