Full Color Publisher: High-End Bildbearbeitung im Jahr 1990.

Die Software „Full Color Publisher“ wurde im Jahr 1990 als Profisoftware für Bildkomposition angepriesen. Ein Blick in die Vergangenheit, was das damals bedeutete.

Full Color Publisher: Bilder von morgen.

Beim Sichten alter Computermagazine bin ich auf die April-Ausgabe der Computer Live gestoßen, dem kurzlebigen Nachfolger der Happy Computer. Auf Seite 249 wird unter der Überschrift „Bilder von morgen“ ein Programm namens „Full Color Publisher“ vorgestellt – leider nur kurz, ich hätte so gerne einen umfassenden Testbericht gelesen. Denn was dort, Anfang 1990, mit einigen Beispielbildern präsentiert wurde, ist für uns im Jahr 2022 schon seit vielen Jahren nichts Besonderes mehr, wohl aber damals, vor über 30 Jahren.

Full Color Publisher (aus: Computer Live 4/90)

Mit den „Bildern von morgen“ war vor Allem gemeint, dass man mit diesem Programm aus verschiedenen einzelnen Bildern eine neue Bildkomposition erstellen kann, also das, was wir heute als „klassisches Photoshopping“ bezeichnen. Nur war diese Art der Bildmanipulation damals eben noch in den Kinderschuhen und in dieser Leistungsklasse ausschließlich Profis vorbehalten: Je nach Ausführung sollte das Programm zwischen 22.500 DM und 55.000 DM kosten, und dazu kamen noch die Kosten für die Hardware: Silicon Graphics Rechner mussten es sein, und das hieß um 1990 herum, es war wohl eine ordentlich ausgestattete SGI IRIS 4D. Und die kostete leicht 80.000 Dollar. Krass, oder? Man musste eine sechsstellige Summe investieren, um etwas zu erreichen, was heute ein 300 Euro Laptop mit einer Freeware-Software wie GIMP schafft. (Im Sommer 2022 beträgt die damalige Kaufkraft für eine solche Investition ungefähr 150.000 Euro. Man konnte sich also entscheiden, ob man sich ein kleines Häuschen kauft oder einen PC für Bildbearbeitung.)

Wie sah die Welt damals aus?

Heue haben Sätze und Begriffe wie „Das ist gephotoshoppt“ längst Einzug in die Umgangssprache gefunden: Wenn man in irgend einer Form am Computer professionell oder beruflich an Bildern arbeitet, nutzt man den de-facto-Standard „Photoshop“ der Firma Adobe. Doch die Version 1.0 wurde erst am 19. Februar 1990 veröffentlicht, was zufälligerweise exakt dem Erscheinungstermin der Ausgabe 3/90 und ungefähr dem Redaktionsschluss der Ausgabe 4/90 der Computer Live entsprach. Damals war nicht absehbar, dass dieses kleine Programm später solch eine Rolle spielen sollte, denn es konnte quasi nichts außer gescannte Bilder etwas farblich nachbearbeiten und einige simple Filter anwenden. Sogar Ebenen, die unverzichtbar sind für Bildkompositionen, wurden erst mit Version 3.0 eingeführt – und zwar Ende 1994!

Der Full Color Publisher war also nicht nur eine Meldung wert, sondern es war damals sogar etwas Außergewöhnliches, Bildkompositionen am Rechner durchzuführen. Solche Dienstleistungen waren auch entsprechend teuer, und ein entsprechend ausgestatteter Arbeitsplatz machte sich bezahlt. Ich bin mir sicher, dass ich damals, Anfang 1990, diese Meldung mit den angedeuteten Beispielen mit riesigen Augen verschlungen habe.

Doch Anfang der 1990er Jahre legte die IT-Branche gleich mehrere Zähne zu und überbot sich gegenseitig in kürzester Zeit mit neuen Geschwindigkeits- und weiteren Leistungsrekorden bei gleichzeitigen Preissenkungen. Schon wenige Jahre später konnten betuchte Heimanwender vergleichbare Leistung ins private Arbeitszimmer holen.

Wie ging es weiter?

Der Markenname „Full Color Publisher“ wurde Anfang September 1996 gelöscht, nachdem die Herstellerfirma Full Color Computing von ihrem Inhaber bereits Ende 1990 an Alias Research verkauft wurde (die später wiederum von SGI aufgekauft wurden). Dort wurde die Software unter dem Namen „Alias Eclipse“ weiterentwickelt. Ab Mitte der 1990er Jahre wurde es für Eclipse allerdings immer schwieriger, in der Nische der High-End Workstations gewinnbringend unterwegs zu sein.

Wir wissen, dass spätestens seit Anfang der 2000er Jahre PCs und Laptops auf allen Schreibtischen der Kreativagenturen stehen, egal ob Windows oder Mac. SGI meldete 2009 Insolvenz an und ist heute nur noch ein Markenname im Portfolio von HPE. Photoshop hingegen, von Anfang an für PCs programmiert, profitierte von den Leistungssprüngen bei gleichzeitigem Preisverfall. (Dass PC-Programme schon immer unter Raubkopierern litten, unterstützte auch hier die schnelle Verbreitung.)

Eclipse wurde 1996 an die Frankfurter Firma „Form & Vision“ verkauft und von ihr auf Windows NT bzw. Windows 98 portiert, um aus dieser Nische auszubrechen.

Das Ende.

Eclipse positionierte sich auch in der Windows-Version als professionellere Alternative zu Photoshop. Das war damals nicht ganz so abwegig wie es heute scheint, denn Photoshop musste noch in vielen Bereichen aufholen. Makros wurden erst Ende 1996 eingeführt, editierbare Texte, Farbmanagement und mehrfaches Rückgängigmachen sogar erst 1997! Da war Eclipse tatsächlich ein gutes Stück weiter, und bis zum Schluss hatte Eclipse aufgrund seiner Herkunft die Nase vorn beim Umgang mit sehr großen Dateien (das waren damals 500 MB) und bei zerstörungsfreien, editierbaren Filtern wie dem Warp-Filter. Photoshop hingegen führte das .PSB-Format für große Dateien erst mit Photoshop CS (Oktober 2003) ein, und verlustfreie „Smart Objects“ sogar erst mit Photoshop CS2 (Mai 2005).

Aber Photoshop hatte dennoch (neben der niedrigeren Einstiegshürde, was Hardware anging) zwei Vorteile, denen Eclipse bis zum Schluss nichts entgegensetzen konnte:

  • Photoshop besaß Schnittstellen, über die durch PlugIns zusätzliche Funktionen von Drittanbietern genutzt werden konnten.
  • Photoshop kostete nur einen Bruchteil.

Zum Preis: Full Color Publisher kostete 1990 zwischen 22.500 DM und 55.000 DM. Photoshop kam im gleichen Jahr für 895 US-Dollar auf den Markt! Form & Vision verlangte Anfang 2001 für die letzte Version von Eclipse von 3.000 DM, während Photoshop, mittlerweile längst auf der Überholspur, weiterhin günstiger zu erwerben war und dank großzügiger Upgrade-Pfade sogar für Privatanwender wie mich erschwinglich wurde.

Form & Vision meldete 2001 Insolvenz an, und seitdem verharrt Eclipse in der damals aktuellen Version 3.1.4. Den Namen des damaligen Pioniers „Full Color Publisher“ kennt niemand mehr, auch „Eclipse“ ist nur noch wenigen altgedienten Recken der frühen professionellen Bildbearbeitung ein Begriff. Und all das geschah in gerade einmal 10 Jahren…

Bildquelle: Computer Live 4/90, Seite 249

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