1996: Als wir die „Rechnerwette“ abschlossen und 3 Jahre warteten.
Sommer 1996: Sechs Freunde schließen eine IT-Wette auf die Zukunft ab – und versiegeln die Antworten bis zum 31.12.1999. Worum ging es?
Die Homecomputerwelt im Wandel.
Rückblick: Zu Beginn der zweiten Hälfte der 1990er Jahre befand sich die IT Welt (mal wieder) im Umbruch. Microsoft hatte im Sommer 1995 mit Windows 95 zum ersten Mal ein Betriebssystem vorgestellt, das absolut massentauglich war. Mit DirectX (auch bekannt als „Windows Games SDK„) folgte wenige Monate später, nämlich im September 1995, eine vereinheitlichte Schnittstelle, auf die vor allem Spieleprogrammierer gewartet hatten. Bereits ein Jahr später war Windows 95 im Begriff, dem alten MS-DOS den Rang als Spieleplattform abzulaufen.
Ende 1996 war ein durchschnittlicher Rechner, wenn man ihn bei Vobis oder Escom neu von der Stange kaufte, ungefähr so ausgestattet: 15 Zoll (Röhren-)Monitor, Intel Pentium Prozessor mit 90 bis 133 MHz, 8 MB RAM, 300 MB Festplatte, wahrscheinlich schon mit einer Soundblaster-kompatiblen Soundkarte. Dafür legte man in der Regel um 2.000 DM auf den Tisch… Also im Vergleich mit der Situation Ende 2014: Jedes 100 Euro Smartphone oder Tablet ist wesentlich leistungsfähiger.
Neue Entwicklungen standen bereits in den Startlöchern: Die Firma 3dfx, gegründet im Jahr 1994, entwickelte eine Grafikkarte, die 3D-Operationen stark beschleunigte. Techniken, die heute in allen Spielen für mehr oder weniger realitätsnahe 3D-Grafiken sorgen, aber damals eine bahnbrechende Erfindung waren. Die Firma 3dfx war über einige Jahre marktbeherrschend, bis sie von Nvidia aufgekauft wurde.
So viel geschah damals innerhalb weniger Monate, dass wir unter uns eine Wette abschlossen – die „Rechner-Wette“: Jeder von uns sollte beschreiben, wie der typische Rechner Anfang 2000 aussehen würde – und was man für diesen Rechner ausgeben müsste. Gemeinsam legten wir gewisse Kategorien fest, wie z.B. „Festplattengröße“, „Monitor“ usw., und jeder musste in kurzen Stichworten seine Einschätzung abgeben. Nachdem alle Angaben vorlagen, wurde das Blatt von mir in ein Kuvert gelegt und für die nächsten 3 Jahre verschlossen an meine private Pinnwand zu Hause gehängt. In dieser Zeit wurde das Kuvert nie geöffnet – ich wusste nach wenigen Monaten schon nicht mehr, was ich selbst geschrieben hatte…
Die Rechnerwette reiste sogar mit nach Japan!
Die Zeit verging, und außer mir vergaßen die Anderen unsere alte Rechnerwette. Und dann begann mein Jahr in Japan, und dieser Aufenthalt lag zeitlich genau in der Auflösung unserer Wette. Also musste der Umschlag natürlich mit in das Land der aufgehenden Sonne. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich den Umschlag öffnete, aber es war wohl nicht genau am 31.12.1999 oder am 01.01.2000, denn da war ich in Tokyo und feierte den Millenniumswechsel. Jedenfalls habe ich – auch damals vorausschauend – eine Kopie des Briefes angelegt, den ich meinen Freunden nach Deutschland schickte. Und diese Kopie habe ich jetzt, nach knapp 18 Jahren wieder hervorgekramt.
Es fühlt sich unwirklich an, nach so langer Zeit auf diese Matrix zu blicken. Der letzte Eintrag stammt, wie ich handschriftlich vermerkt habe, vom 6. Dezember 1996…
Mein damaliger Rechner stand noch bis in die 2010er Jahre zu Hause, irgendwo abgestellt in einem dunklen Eck. Wenn ich mich recht erinnere, war das ein 60 MHz Pentium 1, 8 MB RAM, 160 MB Festplatte, Soundblaster Soundkarte und ein 15 Zoll Monitor. Auf diesem lief Windows 95. Meine Spiele liefen allerdings alle noch unter MS-DOS. Netzwerkkarte – Fehlanzeige! Internet? Doch nicht zu Hause! Unbezahlbar!
Es war die Zeit von Duke Nukem 3D und Doom. Nicht allzu lange, nachdem wir diese Wette abgeschlossen hatten, fanden unsere ersten Netzwerk-Spielesessions statt. Damals aber nicht über das Internet – wir mussten unsere Rechner alle in einem eigenen Netzwerk anschließen. Eine Aufgabe, die schonmal die eine oder andere Stunde dauern konnte…
Groß war die Spannung, als ich das alte Kuvert öffnete, und groß war der Spaß, als ich unsere Erwartungen mit der Wirklichkeit abglich. Links sieht man die erste Seite des Briefes, den ich nach Hause sendete. Wie man ihm entnehmen kann, lagen wir alle ziemlich daneben mit unseren Einschätzungen. Hier und da gab es Übereinstimmungen, aber in Summe waren das eher Zufallstreffer. Rückblickend gesehen konnte man zu dieser Zeit schon erkennen, dass die Speicherkapazität von Festplatten in den kommenden Jahren explodieren würden. Eine kleine Berechnung, wie sich die Größe der Festplatten auch in Bezug auf den zu zahlenden Preis in den letzten Jahrzehnten ändert, habe ich schon zu einem früheren Zeitpunkt beschrieben. Und die Entwicklung geht munter weiter: Ende 2014 bekommt man 1 TB Festplattenspeicher für ca. 30 Euro. Nette Notiz am Rande: Anscheinend war ich bereits Anfang 2000 mit dem heute üblichen „Netzjargon“ vertraut (LOL, TL;DR, AFK, …), wie ich am Gebrauch von AFAIK feststellen kann.
Und natürlich das Internet: Ende 1996 war die Internetnutzung per se zwar schon nichts Außergewöhnliches mehr, aber im Privathaushalt noch nicht angekommen. Zu teuer und aufwändig war es damals noch. Keine drei Jahre später hatte sich die Situation völlig geändert. Werbung für Internetprovider lief auf allen TV-Sendern (zum Beispiel diese legendäre AOL-Werbung mit Boris Becker), und gerade AOL tat ein Übriges, um Präsenz zu zeigen. Die „30/50/100 Stunden Gratis Internet“ CDs fand man damals in fast jeder Computerzeitschrift als Beilage.
Diese CDs (zusammen mit ähnlichen CDs von Konkurrenten) waren damals wirklich allgegenwärtig, so dass sie von einigen als lästig und unnötige Umweltverschmutzung wahrgenommen wurden. Irgendwann endete natürlich auch dieser Spuk, wie wir heute alle wissen. Aber zu dieser Zeit wurde der Nährboden gelegt für die noch heute manchmal anzutreffende skurrile und aus IT-Sicht entlarvende Kombination, bei der gerade kleine privat geführte Betriebe zwar eine eigene Homepage haben, aber deren Mailadresse immer noch bei T-Online & Konsorten ist: „www.firmenname.de“ lautet der Name des Internetauftritts, aber die Mailadresse ist dann z.B. firmenname.ort@t-online.de. (Völlig unnötig, da mit dem Internetauftritt natürlich auch ein Bündel von schönen Mailadressen kommt, z.B. info@firmenname.de)
Da ich das Ergebnis der Wette und auch die dahinter stehende Idee damals sehr originell fand, rief ich im gleichen Brief dazu auf, einen neuen solchen Wettbewerb ins Leben zu rufen. Leider fand diese Idee keinen großen Anklang, und so verlief das im Sande. Schade, denn die vorgeschlagenen neuen Kategorien wie „Bild-Telefon“ oder „vernetzte Küchengeräte“ sind mittlerweile, gut 15 Jahre später, ebenfalls in unserem täglichen Leben angekommen. Die „Bild-Telefone“, so wie es sich die Post damals vorgestellt hatte, haben sich zwar nie durchsetzen können, aber jeder von uns hat mittlerweile mal Skype oder Ähnliches genutzt. Die vernetzten Küchengeräte brauchen noch eine Weile, aber unter dem Begriff „Intelligentes Wohnen“ hat sich inzwischen eine eigene Industrie gebildet, die entsprechende Dienstleistungen anbietet.
Zusammengefasst: Auch heute noch ein spannendes Stück Zeitgeschichte!